José Manuel Álvarez
José Manuel Álvarez ist eine Mischung aus Gene Kelly, Fred Astaire und Antonio Canales in seinen jungen Jahren. Auf jeden Fall hat er den Swing, den Groove und eine gewisse Ausstrahlung, die im Flamenco gar nicht so oft zu finden ist. Aufsehen erregte zum ersten Mal bei seinem Auftritt in „Sin Permiso“, dem preisgekrönten Stück von Ana Morales, das mit Preisen überhäuft wurde. 2018 gründete er seine eigene Kompanie, mit der er mit den Stücken “Movimiento Colateral”, “Bailes Colaterales” und “Cruces” auf Festivals in aller Welt tourt.
Woher kommt José Manuel Álvarez?
Ich wurde in Las Cabezas de San Juan geboren, 1985, also in einer Zeit, in der es sehr schwierig war, Arbeit zu finden und als ich vier Jahre alt war, meine Schwester war acht, gingen meine Eltern nach Barcelona und holten uns dann, als sie Arbeit gefunden hatten. Dort ging ich dann auch in die Volksschule, aber die Verbindung zu San Juan und zu meiner Familie ist nie abgebrochen. Und heute sage ich zwar, dass ich aus Barcelona komme, oder aus Hospitalet, weil ich ja immer dort gelebt habe, aber gleichzeitig fühle ich mich als Andalusier- vor allem, was die Kultur betrifft. Das ist ein sehr spezielles Thema und ich kann es auch nicht so ganz genau definieren, das versteht man nur, wenn man es erlebt hat. In den 90er Jahren war die andalusische Kultur hier sehr präsent, als Kinder verbrachten wir viel Zeit in den Peñas, mit Leuten, die auch aus Andalusien stammten und das hat mich sehr geprägt.
Meine Schwester tanzte damals schon in der Peña und ich sah ihr immer zu und bei den familiären Fiestas wagte ich schon die eine oder andere Pataíta. Als ich 8 Jahre alt war, fragte mich meine Mutter, ob ich auch tanzen lernen wollte und ich sagte ja. Die Vorstellung zu tanzen erfüllte mich total und so ist es auch heute noch.
Mit 12 Jahren begann ich ernsthaft Unterricht zu nehmen in der Academia von Paca García und bei allen Maestros, die in Barcelona Halt machten. Mit 17 tanzte ich zum ersten mal in der Kompanie von Javier Latorre und ein Jahr später im Tablao Cordobés, das war eine Zeit, in der ich unglaublich viel lernte und die mir den Weg aufzeigte, den ich gehen wollte.
Mit 20 ging ich dann für zwei Jahre nach Sevilla. Nicht, weil ich glaube, dass der Flamenco an einen bestimmten Ort gebunden ist, aber damals tat sich in Sevilla einfach unglaublich viel. Mit Mariana Cornejo tanzte ich auch gleich in „Las Calles de Cádiz“ im Teatro Falla mit vielen Künstlern aus Cádiz und ich ging eigentlich nur nach Barcelona zurück, weil es dort für mich Arbeit im Tablao gab. Und ab dann ging es eigentlich kontinuierlich weiter. Ich arbeitete im Tablao, gab Unterricht und tanzte bei verschiedensten Produktionen, unter anderem mit Rubén Olmo oder Rafael Estévez.
Du arbeitest ja auch oft als Choreograf, oder?
Na ja, Choreograf bin ich ja immer, auch wenn ich in einem Tablao arbeite, also nur für mich, obwohl das nicht so präsent ist, nicht so im Vordergrund steht wie im zeitgenössischen Tanz. Wir haben erst vor kurzem darüber gesprochen, wie schwierig das hier ist, weil es kein Geld dafür gibt und du nur selten für Kompanien choreografierst. Es gibt ja nur wenige stabile Kompanien außer dem Ballet Flamenco de Andalucía, die von María Pagés oder Rafael Estévez und Nani Paños. Es fehlt an Unterstützung und an Orten, wo man proben kann. Das ist vielleicht das Wichtigste: Orte, die man uns zur Verfügung stellt, damit wir anständig proben können, auch für technische Proben. Oft passiert das erst am Tag der Premiere, da siehst du dann erst, ob das alles so funktioniert, wie du es dir vorgestellt hast. Eigentlich fehlen uns Tanzhäuser.
Helft ihr euch denn gegenseitig?
Ja, natürlich, wenn mich jemand fragt, helfe ich den Künstlern, Orte zu finden, oder ich stelle ihnen meine Studios in „La Capitana“ zur Verfügung, wenn das möglich ist. Die waren ursprünglich für mich vorgesehen, für meine Proben und den Unterricht, aber hier proben auch viele andere, Marco Flores ist oft hier, oder Jesús Carmona, José Maldonado oder Rosalía, auch die ersten Treffen mit Ana Morales für „Sin Permiso“ fanden hier statt. Vor kurzem was Rocío Molina da, das mag ich sehr und es ist für mich auch eine Quelle der Inspiration
Du arbeitest ja immer in vielen unterschiedlichen Projekten, wie mit der Gruppe „Aurora“
Ja, das ist eine Band und der Schwerpunkt liegt in der Musik, da kann ich dann mehr improvisieren, aber natürlich kenne ich die Musik sehr gut und ich schaffe da eine Verbindung, die zwar auf der Technik basiert, aber viel freier ist als bei meinen Bühnenstücken. Der Begriff der Improvisation ist im Flamenco aber ein ganz anderer als im Contemporary Dance, das ist klar.
Aber auch der Flamenco auf der Bühne hat sich sehr verändert, oder?
Auf jeden Fall, aber es ist eine ganz natürliche Entwicklung. Wir sind eine neue Generation und wir möchten etwas erzählen. Wir verwenden andere Codes abseits der Clichés des Flamencos, wir sind viel freier, trauen uns Strukturen aufzubrechen, es hat sich einfach sehr viel verändert.
Was erzählt ihr denn da?
Das kann ein Detail aus deinem Leben sein, etwas Persönliches, stell dir zum Beispiel vor, dass deine Partnerin dich verlassen hat, du bist natürlich traurig, bitter und voll von Schmerz. Aber erzählen kannst du das auf die verschiedensten Arten, nicht nur indem du – Ayyyy – eine Soleá tanzt. Manchmal musst du einfach Tabula Rasa machen, bis alles ganz leer ist und du es mit neuen Inhalten füllen kannst. Im Flamenco ist meistens alles so genau definiert, im Conemporary Dance ist das ganz anders, du kannst kalt sein, kannst einen Salto machen und niemand findet das seltsam. Im Flamenco gibt es einen Code, der dir sagt: Das ist Flamenco! Und wenn du einen Sprung machst oder dich auf den Boden legst oder wenn du nicht die Augenbraue nach oben ziehst, dann ist es kein Flamenco? Da frage ich mich dann: Und was ist mit dem Künstler? Auf die Gefahr mich zu wiederholen: Nimm alles weg und dann füll es wieder neu. Wir müssen viel authentischer sein, realer, jeder soll das ausdrücken dürfen, was er fühlt.
Was ist denn dein Thema bei den „Bailes Colaterales“?
Vor allem der Tanz. „Colateral“ deshalb, weil sich alles um den Kubus herum bewegen muss, der in der Mitte steht. Wir arbeiten in einem sehr konkreten Raum, der unsere Bewegungen bestimmt und dabei erzählen wir verschiedenste Geschichten. Aber auch da habe ich meinen Tänzerinnen immer gesagt: „ Nehmt ein wenig Kraft weg, nicht so viel Spannung, entspannt euch, sonst ist es so, als ob ihr immer in der selben Tonlage sprechen würdet, habt mehr Spaß, spielt mehr…
Die erste in dieser Kunst war ja Belén Maya…
Oh ja, sie hat sich auch sehr viel damit beschäftigt, sie weiß es und sie empfindet es auch so, sie ist authentisch. Natürlich sind wir alle verschieden, aber wir sollten es auf jeden Fall versuchen.
Welche anderen Künstler schätzt du besonders?
Da gibt es viele, aber eine Person, die ich immer bewundert habe, ist Eva Yerbabuena, sie hat viel dazu beigetragen, dass der Flamencotanz heute so ist, wie er ist, sie war wirklich revolutionär. Marco Flores mag ich sehr, er ist exquisit in allem, was er tut. James Thiérrée, ein Enkel von Charlie Chaplin, ist einfach unglaublich, ein Performer, ein Akrobat, ich habe einmal ein Solo von ihm gesehen, das zwei Stunden dauerte ….
Carmen Amaya natürlich und Mercedes Boronat, sie war eine Person, die mein Herz berührte, weil sie mich in einem Moment auffing, als ich nicht mochte, wie ich tanzte und auf der Suche war. Ich ging jeden Morgen zu ihr in den Unterricht, eine Stunde Meditation, zwei Stunden Technik und eine Stunde Improvisation und am Abend tanzte ich im Tablao.
Machst du deine Stücke allein?
Nein, für mich ist der Blick von außen extrem wichtig. Ob das jetzt ein Regisseur, ein Dramaturg oder ein zweiter Choreograf ist, ist nicht so wichtig, aber unsere Stücke sind inzwischen so komplex, dass wir unbedingt jemanden brauchen, bei einem einfachen Recital vielleicht nicht, aber sonst schon.
Interview: Susanne Zellinger
Fotos: Niklas Baumberger