Dorantes







‚Dorantes’: Der Flamenco ist ein Teil von mir
‚DORANTES’ ist ein außergewöhnlicher, virtuoser Instrumentalist, der sich weit über Spaniens Grenzen einen Namen gemacht hat. Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet zählt er zu den Meistern der Flamencomusik, auch wenn er sich statt der Gitarre das Klavier als sein Instrument auserwählt hat. Im folgenden Interview erzählt er über seine Geschichte in einer der berühmtesten Gitano-Familien des Flamenco und warum die Musik einen wichtigen Platz im Leben aller Menschen haben muss.
In deinen Interviews sprichst du sehr oft über die Musik im allgemeinen und nicht nur über Flamenco, warum das?
Den Flamenco trage ich in mir, ich muss nicht darüber reden, er ist ein Teil von mir, mich interessiert mehr die Sprache der Musik und ihre Bedeutung.
Musik als Lebensphilosophie?
Die Musik bestimmt mein Leben von dem Moment an dem ich aufstehe bis zu dem Moment an dem ich schlafen gehe. Sie bestimmt meinen Lebensrhythmus und meine Art zu denken, sie durchdringt alles und kann das Leben der Menschen verändern.
Sie prägt also auch deine Familie, deine Kinder?
Natürlich. Ich habe ja mein Studio im Haus und verbringe da einen Großteil der Tage. Mein Sohn spielt Klavier und meine kleine Tochter fängt gerade an und heute Nachmittag waren wir zu dritt im Studio und haben gespielt. Wann immer ich Zeit habe zwischen den Aufnahmen und wenn ich komponiere machen wir das. Es gibt ja inzwischen Studien darüber, wie wichtig die musikalische Erziehung für Kinder ist und dass Kinder, die ein Instrument spielen ganz spezielle Fähigkeiten und eine große Flexibilität entwickeln, weil sie andere Teile des Gehirns benützen. Das bedeutet ja nicht, dass sie Musiker werden müssen, das ist dann ihre Sache, ich möchte nur, dass sie lernen zuzuhören und analysieren können, was sie hören.
Du bist ja durch zwei Schulen gegangen, die deiner Familie und die akademische.
Ich hatte den großen Luxus in einer Flamencofamilie aufzuwachsen, mit meinem Vater, dem Gitarristen und Sänger Pedro Peña, meinem Onkel „El Lebrijano“ und La Bernarda und La Fernanda de Utrera, Andererseits bin ich ans Konservatorium gegangen und habe klassische Musik studiert und Notenlehre um komponieren zu können. Für das Klavier im Flamenco gab es damals noch keine Methode und so war ich auf mich allein gestellt. Da bin ich Autodidakt.
Gibt es gar keine Partituren?
Das beginnt jetzt erst so nach und nach. Ich schreibe natürlich alles auf, was ich komponiere und auch im Internet finden sich immer mehr Dinge.
Es gibt jetzt ja auch immer mehr junge Musiker, die sich für das Klavier interessieren, oder?
Ja, Gott sei Dank! Als ich angefangen habe, wurde ich ja noch schief angesehen, wie ein seltsames Insekt und ich musste darum kämpfen, respektiert zu werden. Da hat sich viel getan und ich werde immer wieder von Musikhochschulen angerufen damit ich die Studenten und auch die Professoren unterrichte. Gerade vor kurzem war eine japanische Konzertpianistin hier und ein argentinischer Pianist, die bei mir lernen wollen.
Du improvisierst auch sehr viel, rückt dich das in die Nähe des Jazz?
Ich sehe das nicht so sehr, mich interessiert vor allem die zeitgenössische Musik wie die von Stravinski oder Ligeti. Ich habe unzählige Partituren, die ich studiere und über die ich improvisiere und natürlich höre ich auch Jazz, da interessiert mich vor allem der Dialog mit den anderen Instrumenten wie dem Schlagzeug oder dem Kontrabass und die musikalische Freiheit, die du im Jazz hast. Aber vor allem beschäftige ich mich mit zeitgenössischer Musik.
Diese Freiheit macht es für die Zuhörer oft schwierig, den Palo zu identifizieren, den du spielst.
Ich kenne die Form der Palos in und auswendig, ich weiß wie eine Soleá funktioniert und beherrsche sie im Schlaf, das kannst du mir glauben und wenn ich sie verändere, dann kann ich dir genau sagen warum: Weil ich mich langweile. Ich kann nicht alles in die gleiche Form pressen, vor allem aber will ich es nicht.
Wirst du dafür auch von den Traditionalisten kritisiert?
Ja schon, aber die meisten finden meine Musik interessant und außerdem mache ich sie ja nicht für die Leute sondern vor allem für mich.
Du bist doch in einem sehr klassischen Umfeld aufgewachsen, in Lebrija…
Ja, ich hatte eine wunderbare Kindheit, die gekennzeichnet war durch meine Flamencofamilie und die vielen Feste, die wir feierten: Hier eine Taufe, da eine Hochzeit oder eine Erstkommunion, wir waren immer unterwegs zwischen Utrera und Jerez. Da wurde gesungen und getanzt die ganze Nacht, natürlich nur an den Wochenenden, denn ich ging ja zur Schule.
Warum seid ihr von Lebrija weggegangen?
Mein Vater war Lehrer und als er nach Sevilla versetzt wurde gingen wir alle mit und natürlich hat die Stadt unser Leben verändert. Ich wusste ja nicht einmal, wie man den Bus nimmt und der Verkehr machte mich nervös. Aber den Kontakt zu Lebrija haben wir nie verloren und an den Wochenenden fahren wir oft hin.
Wie siehst du das Flamencopanorama in diesen Dörfern?
Großartig! Der Flamenco wird immer noch in den Familien gelebt, ich habe da zum Beispiel einen kleinen Neffen, der singt, dass es dir die Sprache verschlägt.
Siehst du dort mehr Zukunft für den Flamenco als in den großen Städten?
Das sind einfach zwei ganz verschiedene Dinge. Der Flamenco in der Familie, wie ich ihn erlebt habe, existiert dort noch immer, genau so wie früher, diese Abende an denen einer tanzt und eine andere singt und alle hören und schauen zu, das gibt es und wird es immer geben, auch wenn manche das Gegenteil behaupten. Der Flamenco, der auf der Bühne stattfindet, funktioniert auch gut, aber vielleicht mehr in den Städten.
Dem Flamenco geht’s also gut oder fehlt etwas?
Es geht ihm gut, aber er muss natürlich gepflegt und noch mehr unterstützt werden. Wir sprechen ja von einer der großartigsten Musiklandschaften der Welt und um sie zu schützen muss natürlich etwas getan werden. Vor allem die jungen Leute brauchen Unterstützung und dass der Flamenco in den Schulen noch nicht auf dem Stundenplan steht ist eigentlich ein Skandal! Alle Spanier*innen sollten eine Ahnung vom Flamenco haben, bei euch wird ja auch klassische Musik unterrichtet.
Wenn du drei Wünsche frei hättest, welche wären das?
Das ist schwierig, aber einer wäre sicher, dass alle Flamencomusiker eine musikalische Ausbildung haben, dass sie die musikalische Grundgrammatik beherrschen. Nur so kannst du mit Musikern aus anderen Disziplinen kommunizieren und das ist unglaublich wichtig. Es herrscht ja noch immer der Irrglaube, dass du weniger Flamenco bist, wenn du dich weiterbildest, aber ich kann dir versichern, dass dem nicht so ist.
Der zweite Wunsch wäre, dass der Flamenco im täglichen Leben mehr präsent ist. An jeder Straßenecke sollte Musik gemacht werden, es sollte mehr Festivals geben und mehr Orte, an denen Musik live stattfindet.
Und dann möchte ich, dass die Menschen in unserem Land mehr über den Flamenco wissen, das sollte zur Allgemeinbildung gehören. Wenn du in den Norden fährst, begegnen dir die gleichen Vorurteile wie im Ausland. Die Leute haben keine Ahnung und das kann eigentlich nicht sein.
Über die Gitanos wissen sie ja genauso wenig.
Das stimmt. Wobei die Gitanos in Andalusien schon etwas Besonderes sind. Ich habe einen Cousin, der Arzt ist, ein anderer ist Architekt und einer ist Anwalt und ich bin Musiker und habe auch studiert. Wir sind hundertprozentig in die Gesellschaft integriert, in Sevilla, in Jerez, in Lebrija und dennoch sind wir Gitanos durch und durch. Wir leben unsere Traditionen und steigen angeblich die Treppen a compás. Ich weiß nicht, ob es das Zusammenleben in dieser Form irgendwo auf der Welt gibt.
Hat der Flamenco auch dazu beigetragen?
Ich glaube schon. Er hat zu unserer Identität beigetragen, er hat Gewicht und wird ernst genommen als Kunstform.
Der Flamenco ist ja musikalisch auch sehr komplex.
Das fällt mir vor allem auf, wenn ich mit anderen Musikern zusammen spiele. Es kostet sie große Mühe in eine Bulería oder eine Soleá einzusteigen, der Flamenco hat seine eigene Sprache und wenn jemand den Flamenco nicht als Muttersprache hat, merkst du das sofort.
Ist das umgekehrt genauso?
Ich denke nicht, der Flamenco gibt dir eine unglaubliche Flexibilität, es ist so, als ob sein Alphabet mehr Buchstaben zur Verfügung hätte und das macht es für uns leichter.
Foto: Javier Caro